Einzelprojektförderung für Freie Theaterschaffende
Professionell arbeitende Künstler*innen und Gruppen können eine Projektförderung im Bereich Theater beantragen.
Über die Förderung
Gefördert werden die Vorhaben professionell arbeitender Künstler*innen und Gruppen, die bereits erste künstlerische Erfolge in den freien darstellenden Künsten vorweisen. Die Projekte sollen über einen eigenständigen ästhetischen Ausdruck verfügen, relevante Diskurse der Gegenwart reflektieren und eine Bereicherung für die freie Münchner Szene darstellen.
Die maximale Förderungshöhe für Einzelprojekte beträgt 100.000 Euro. Es erfolgt eine Förderung der Produktion und einer begrenzten Zahl von Aufführungen. Komplementärfinanzierungen sind schlüssig nachzuweisen.
Die Förderung richtet sich an Künstler*innen aller Altersgruppen, für den Beginn der künstlerischen Laufbahn ist die Debütförderung vorgesehen.
Bitte beachten
Aufgrund der geplanten Haushaltskonsolidierung für das Jahr 2025 kann es zu Abweichungen der empfohlenen Fördersummen kommen.
Die Einzelprojektförderung für Freie Theaterschaffende haben erhalten
Caner Akdeniz: Protect yourself
Dieses Projekt führt einen unmöglichen Dialog auf. Akdeniz, Regisseur, Performer und deutscher Staatsbürger mit türkischen Wurzeln diskutiert mit einem Menschen, der rechtsextreme und fremdenfeindliche Positionen vertritt. Dieser Dialog findet in der realen Welt aus diversen Gründen nicht statt. Migrantische Milieus fühlen sich nach diversen Anschlägen wie in Hanau und dem Bekanntwerden von Deportationsplänen durch das Correctiv-Netzwerk eingeschüchtert, bedroht und auf der Suche nach Selbstschutz, der doch nicht zu haben ist. Dass dieses Experiment szenisch doch aufgeführt werden kann, liegt am theatral geschickten Einsatz einer LLM-gestützten Sprachintelligenz. Die Jury war von der Idee und der Aktualität dieses performativen Vorhabens überzeugt und empfiehlt eine Einzelprojektförderung in Höhe von 63.650 Euro für diesen Versuch, eine Selbstermächtigung durch die künstlerische Transformation einer nicht zu akzeptierenden Realität zu erwirken.
Nihan Devecioğlu: Menschengeschichten. Maschinengeschichten (AT)
Nihan Devecioğlu möchte mit „Menschengeschichten, Maschinengeschichten. Eine Performance über Frauen.Migration.Arbeit“ eine dokumentarbasierte, multimediale Performance über die Lebensrealitäten von Gastarbeiterinnen der ersten Generation erarbeiten. Als Enkelin von türkischen Gastarbeiter*innen in München aufgewachsen setzt sie sich auf diese Weise künstlerisch mit ihren familiären Wurzeln auseinander, die stellvertretend für eine ganze Generation stehen. Insbesondere die im BMW-Werk beschäftigten Frauen der ersten Generation von Gastarbeiter*innen soll dabei im Fokus stehen. In einer Recherchephase sollen mehrsprachige Videoportraits dieser Frauen erarbeitet und erstellt werden, mit welchen Devecioğlu dann performativ interagieren kann. Die beabsichtigte Kombination aus Gesang, Erzählung und Performance stellt den besonderen Reiz dieses Projekts dar, das so orale Erinnerung mit modernem künstlerischen Selbstbewusstsein einer postmigrantischen Community verbindet. Insbesondere die Auseinandersetzung mit der bislang wenig beleuchteten weiblichen Seite der Arbeitsmigration veranlasst die Jury, die Förderung dieses Projektantrags mit 59.802,88 Euro zu befürworten.
Sabine Herrberg und Jochen Strodthoff GbR: Die Entbehrlichen
Ein Neo-Noir Road Movie Performanceprojekt für höreingeschränkte und hörende Menschen in Gebärdensprache und Lautsprache.
Trotz Öffnung der Gesellschaft für diverse Gruppierungen und inklusive Lebensformen werden nach wie vor Menschen aufgrund von Einschränkungen, Lebensumständen oder Herkunft marginalisiert. Sie fühlen sich als „Die Entbehrlichen“, die Jochen Strodthoff und sein Team zu Hauptfiguren in einem lokal in München und im Voralpenland verorteten Road-Movie machen. Das ungleiche Paar, der gehörlose Mick, dessen Darsteller ebenfalls gehörlos ist, und die zwanzig Jahre ältere ehemals drogenabhängige Donna, verkörpert durch eine hörende Darstellerin, brechen durch eine glückliche Gelegenheit aus ihren vorgegebenen Opferrollen aus, um ein Leben auszuprobieren, das ihnen sonst verschlossen bleibt. Dabei erwischt, begeben sie sich auf eine rasante Flucht vor den Ordnungshütern der sie ausgrenzenden Gesellschaft. Zitiert wird dabei spielerisch aus verschiedenen Gangsterdramen und Neowestern wie „Bonny und Clyde“, „Thelma & Louise“ und „No Country for old men“, wobei die durch die Filme erzeugten Klischees immer auch die beiden Charaktere humorvoll unterlaufen. Abgerundet wird das dramaturgische Konzept durch die sich entwickelnde Liebesgeschichte der beiden „Underdogs“, die vorsichtig zutage tritt. Überzeugend ist die epische Erzähltechnik, mit der sich Gebärden- und Lautsprache der beiden Protagonist*innen abwechseln, um sowohl ein gehörloses wie hörendes Publikum gleichermaßen zu erreichen. Auch der Einsatz von spezieller filmischer Visualisierung einer Gestensprache als künstlerisches Erzählmittel für hörende und nichthörende Zuschauer*innen ist vielversprechend für eine gelungene Realisierung des Projekts mit hohem Unterhaltungspotenzial. Daher befürwortet die Jury die Förderung des Antrags in Höhe von 52.010 Euro.
Ruth Geiersberger: Das Verschwinden
Ausgehend von einer Recherchereise nach Australien, auf der Suche nach Spuren des dort im 19. Jahrhundert verschollenen deutschen Geologen Ludwig Leichhardt, lässt die Münchner Performancekünstlerin Ruth Geiersberger in ihre Arbeit „Das Verschwinden“ das auf der Reise erworbene und gefundene Material in all seinen Facetten einfließen. Dabei entsteht eine sich stets verändernde und immer wieder neu zusammensetzende lebendige Installation, in der Mensch, Ding, Erinnerung und Geschichten ineinander übergehen und Raum geben für eigene Assoziationen und Erfahrungen. Die Souvenire Wombat und Koala werden lebendig und fügen sich ein als Figuren in das Gesamtkunstwerk der Performance und einer Begegnung mit sich selbst angesichts existentieller Fragen.
Der Vorgang des Aus-der-Welt-Fallens ist ein Teil des Lebenszyklus, dem sich die Meisterin der Rituale und leisen Töne auf die ihr eigene minimalistische Art annähert. Sie wird gleichermaßen zur Zuhörerin und Gestalterin, um schließlich auch selbst hinter den Dingen verschwinden zu können. Dabei spürt sie dem uralten menschlichen Wunsch nach Unsterblichkeit nach, um letztendlich die Flüchtigkeit und damit Einzigartigkeit des vergänglichen Augenblicks zu feiern. Begleitet von ihren Kompliz*innen, Fotograf und Filmer Severin Vogl, den Musiker*innen Geoff Goodman, Ardhi Engl und Evi Keglmaier sowie der Tänzerin Josephine Ann Endicott, findet Ruth Geiersberger Formen für eine zeitlose performative Poetik. Die skizzierte künstlerische Umsetzung der Transformation des Daseins und die dazu passende Wahl des Ortes, dem staatlichen Museum für ägyptische Kunst, für die Installation und die darin stattfindenden „Verrichtungen“, haben die Jury veranlasst, sich für die Förderung des Antrags in Höhe von 47.355 Euro auszusprechen.
Theresa Hanich: Hochzeit! Hochzeit?
Auf der kleinsten Bühne Münchens, dem „Mathilde Westend“ in der Gollierstraße, entstehen seit 2015 auf engem Raum minutiöse Schauspielproduktionen, die dem siebzehnköpfigen Publikum große Themen nahebringen. Nach „Dankbarkeiten“, einem Stück über das Altern, widmet sich Theaterleiterin und Regisseurin Theresa Hanich in der geplanten Komödie „Hochzeit! Hochzeit?“ dem Thema Ehe als Ausgangspunkt für einen Dialog zwischen den Generationen. Die konträr laufenden Lebensentwürfe von Mutter und Tochter prallen aufeinander und stellen Ansichten über persönliche Freiheit, romantische Liebe und äußere Form auf den Kopf. Die Tochter möchte heiraten, in den Augen der Mutter ein Rückschritt in patriarchale Strukturen. Die Mutter hat die Tochter allein erzogen und über all die Jahre ein unabhängiges selbstbestimmtes Leben geführt, was sie nun insgeheim auch von ihrer Tochter erwartet. Es entspinnt sich ein Dialog über die Vielfalt der Möglichkeiten des gleichbestimmten Zusammenlebens, über die Abschaffung der Institution Ehe und über die Frage, warum sich ihr gerade eine jüngere Generation auf der Suche nach Verbindlichkeiten wieder verstärkt zuwendet. Die Jury ist gespannt auf die Umsetzung des Konzepts in einem Kammerspiel und empfiehlt die Förderung des Projekts in Höhe von 42.620 Euro.
Christiane Huber: Looping Trees (AT)
Der Wald als Naturraum und lebender Speicherort wird zum Archiv von aktuellen und vergangenen historischen Ereignissen. Seit 2022 forscht die bildende Künstlerin und Regisseurin Christiane Huber in einem der letzten Naturwälder Europas, dem Wald von Białowieża, an der Grenze zwischen Polen und Belarus nach den Spuren von Gewalt und Traumata während der deutschen Besatzung bis hin zur aktuellen Abweisung von Flüchtenden aus Belarus am errichteten Grenzzaun zu Polen. Der Wald ist dabei damals wie heute Versteck für Menschen vor Verfolgung und drohendem Tod. Auch diente er über die Jahrhunderte den Machthabenden immer wieder als Jagdgebiet. Das Augenmerk der geplanten partizipativen Installation liegt auf der Sicht- und Hörbarmachung der Leerstellen von Geschichte und dem sich Annähern an Unsagbares und Verdrängtes, um es auf verschiedenen Rezeptionsebenen erfahrbar zu machen: mit Hilfe von Live-Musik und dem Einsatz chorischer mehrsprachiger Liedelemente wird eine Polyphonie erzeugt, die für die Wiederholung von geschichtlicher und politischer Gewalt sensibilisieren soll. Die Jury sah in der Verbindung der Zerstörung von Wald als Lebensgrundlage und Rückzugsort für Mensch und Tier mit den historischen und bis heute wirkenden Ereignissen einen hochaktuellen Ansatz zur Reflexion über Erinnerung in ihrem Bezug auf die Gestaltung der Gegenwart und empfiehlt daher die Förderung des Antrags in Höhe von 84.900 Euro.
Kastner-Delphine GbR: Der Trojanische Krieg
Stefan Kastner bereichert Münchens Freie Theaterszene seit geraumer Zeit um eine eigenwillige Form. Seine Text- und Szenencollagen verbinden mühelos Volkskultur, antike Mythologie, Zeitkritik mit einer selten gewordenen Fabulierlust, der Kunst der (bildungsbürgerlichen) Anspielungen, Metaphernkunde und Allegorienlektüren.
In seiner Produktion „Der Trojanische Krieg“ widmet sich der Autor und Regisseur nun der eigenen Familiengeschichte, die geprägt ist vom Großvater, Teilnehmer an zwei Weltkriegen.
Mittels einer kunstvoll gestrickten Handlungs- und Figurenkonstellation verspricht der Abend eine Tiefbohrung zur Geschichte der europäischen Kriege, gewissermaßen auch der Urszene Europas, die bis zum Trojanischen Krieg zurückreicht. Dabei verspricht die Überblendung der antiken Erzählung vom Raub der Helena mit einer im Münchner Umland situierten kleinbäuerlichen Familiensaga eine skurrile Perspektive auf beides: auf den verblassten bayerischen Panhellenismus des frühen 19. Jahrhunderts, der immerhin jene Nationalfarben Griechenlands, blau und weiß, zum Statussymbol des „Mia san Mia“ machte, als Freistaats-Flagge und KFZ-Emblem, und auf die Neuerzählung jener antiken Mythen und Sagen, die noch zum kulturellen Gepäck der Weltkriegsteilnehmer*innen zählten. Die Jury spricht sich für eine Förderung des Projekts in Höhe von 52.000 Euro aus.
Karnik Gregorian und Bülent Kullukcu: Teutonistan
Mit der Einrichtung von Oguz Atays Roman „Die Haltlosen“ starten Gregorian und Kullukcu den Versuch eine alternative (bundes)deutsche Geschichte zu erzählen, in der migrantische Kulturen, insbesondere der türkischen Arbeitsmigration der 60er und 70er Jahre, zum selbstverständlichen Teil der Erzählung avancieren. Als dramaturgisches Mittel der Umsetzung fungieren dabei u.a. die Musikkulturen der ersten Generation von sogenannten Gastarbeiter*innen und deren Nachfahren. Ebenfalls werden Erzählungen, Dokumente und Fotos von ehemaligen Gastarbeitern aus dem eigenen Archiv verwandt. Kontrastiert wird dieses Material mit Stimmen jüngster migrantischer Kulturen aus Syrien, Afrika und Afghanistan. Die Jury war vom musiktheatralen Zugriff auf die literarische Vorlage und das Recherchematerial überzeugt, in welchem nicht zuletzt auch die Handschrift des mit dem Grimmepreis ausgezeichneten Projekts „Songs of Gastarbeiter“ von Kullukcu und Imran Ayata erkenntlich wird und empfiehlt eine Förderung in Höhe von 92.800 Euro.
Lulu Obermayer: Schwester (AT)
Lulu Obermayer setzt sich als Künstlerin in München seit langer Zeit mit dem klassischen Opernkanon auseinander, um ihn in intensiven und stets im Kontext mit der eigenen (weiblichen) Künstlerinnenpersönlichkeit stehenden Performances einer feministischen Re-Lektüre zu unterziehen. In ihrem nächsten Musiktheaterprojekt „Schwester" – basierend auf den Opern "Suor Angelica" von Giacomo Puccini und "Dialogues des Carmélites" von Francis Poulenc – möchte Lulu Obermeyer, in enger Zusammenarbeit mit den Ordensschwestern des Klosters Mariazell, einen Abend über das Thema Emanzipation und Bildung innerhalb von Frauenorden kreieren. Das Projekt erkundet dabei die historische wie zeitgenössische Bedeutung von Frauenklöstern in diesem Zusammenhang. Obermayer möchte hinter Klischees und Vorurteile blicken und sich und das Publikum mit der Frage konfrontieren, was wir von dem lang erprobten Lebensstil in der Gemeinschaft der Ordensfrauen erfahren können. Besonders interessiert hat die Jury an diesem Projekt die ästhetische Auseinandersetzung mit der dezidiert weiblich dominierten Heterotopie des Frauenklosters und die zu erwartende künstlerische Reibung von in Szene gesetzten rituellen Abläufen wie Stundengebeten und den isolierten Betgesängen der Opern. Aus diesem Grund empfiehlt die Jury die Förderung von „Schwester“ in Höhe von 80.094,88 Euro.
Oliver Zahn: Crowd Control
Oliver Zahn wird sich in „Crowd Control“ mit dem kollektiven Agieren und den Choreografien der sogenannten ‚riot police‘, also der behelmten und mit Schlagknüppel und Schild bewehrten Einsatzpolizei auseinandersetzen. Diese Polizeiformation wird zur szenischen Metapher, um eine Idee des Staats, öffentlicher Sicherheit und symbolischer Handlungsmacht zu adressieren. Zahn befragt sowohl die historische Genese des Polizeicorps, die sich zu allererst gegen Banden und private Milizen durchsetzen musste, wie deren brüchige Konstruktion, ihre Wirkmacht als anonymisierte Gruppe, die jeweils gegen Tendenzen der Individualisierung und Auflösung ankämpft. Das Thema ‘polizeiliche Ordnung und Gewalt’ hat Konjunktur – wie man etwa an den Ausschreitungen beim Hamburger G7 Gipfel erkennen konnte. Zahn ist für seine zahlreichen, differenzierten Arbeiten im Bereich des chorischen Sprech- und Bewegungstheaters her bekannt. Die Jury empfiehlt daher eine Einzelprojektförderung in Höhe von 35.840 Euro.
- 2024
Oliver Exner; Freie Bühne München; Futur X GbR; Lena Gorelik; Verena Gremmer; Ines Hollinger, Lucy Wirth; Lulu Obermayer; Pandora Pop GbR; Gesche Piening - 2023
Freie Bühne München e.V.; Theresa Hanich; Sebastian Hirn; Caroline Kapp; Anna Kuzmenko, Anastasiya Shtemenko und Jan Struckmeier; David Moser; Keith King Mpunga; Lulu Obermayer; Julian Warner - 2022
Caner Akendiz, Michael Bischoff, Sabine Herrberg, Jochen Strodthoff, Burchhard Dabinnus, Freie Bühne München, Ruth Geiersberger, Molestia e.V., Kastner, Stefan Kastner, Jan Struckmeier, Lucy Wirth