Theaterstipendien
Mit dem Theaterstipendium soll die künstlerische Weiterbildung beziehungsweise die Erarbeitung eines neuen künstlerischen Konzepts gefördert werden.
Über die Förderung
Die Landeshauptstadt München vergibt jährlich Arbeits- und Weiterbildungsstipendien im Bereich Theater in Höhe von maximal 8.000 Euro. Mit dieser Förderung soll die künstlerische Weiterbildung beziehungsweise die Erarbeitung eines neuen künstlerischen Konzepts unterstützt werden.
Mit den projektbezogenen Stipendien sollen sowohl jüngere als auch etablierte Theaterschaffende unterstützt werden. Es besteht keine Altersbegrenzung. Die eingereichten Vorschläge werden durch die Freie-Theaterschaffenden-Jury bewertet.
Theaterstipendien erhielten
Sandra Chatterjee: The Origins of Racism
Das interdisziplinär arbeitende internationale Team um die vielfältig wirkende Münchner Tanzwissenschaftlerin, Performancekünstlerin und Choreographin Sandra Chatterjee begibt sich auf die Spuren des ikonischen Sexualwissenschaftlers Magnus Hirschfeld. Bis in die dreißiger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts war Hirschfeld moderner Vordenker für die Rechte queerer Gesellschaftsgruppen. Als von rechtskonservativen Gruppierungen und den Nationalsozialisten verfolgter jüdischer Arzt und Homosexueller verfasste er im Exil die Schrift „Rassismus“, in der erstmals dieser Begriff zur Beschreibung als Instrument entmenschlichender Kategorisierung verwendet wurde. Dieses Buch ist bis heute nur in englischer Sprache erschienen. Die hierdurch in Deutschland entstandene Lücke im kulturellen Gedächtnis und im Diskurs zur Entwicklung des Rassismus soll mit Hilfe einer theatralen Umsetzung gefüllt werden. Das geplante Vorhaben bewertete die Jury als wichtigen Beitrag zu aktuellen gesellschaftlichen Fragen sowie damit verbundenen künstlerischen Herausforderungen und befürwortet das Stipendium in Höhe von 8.000 Euro.
Anna Gschnitzer: Mother Nature’s Bitch
Die bereits mehrfach für ihre Stücke und dramaturgische Arbeit ausgezeichnete Autorin Anna Gschnitzer bereitet ein neues Stück im Spannungsfeld von Natur und ideologisch aufgeladenen Rollenbildern vor. Dabei untersucht sie die Instrumentalisierung des Naturbezugs in identitären Gruppierungen, die sich oftmals einer vermeintlichen Spiritualität bedienen und damit typisch binäre Rollenbilder und Machtstrukturen manifestieren und eigentlichen Feminismus, beziehungsweise echte Gleichberechtigung aller Geschlechter unterlaufen. Es geht um nichts weniger als die Entlarvung scheinbar progressiver Bewegungen, die mit der Berufung auf die Wahrheit ihrer vermeintlichen Natur eine überlegene Daseinsberechtigung begründen und damit zum gesellschaftlichen Rechtsruck beitragen. Dies kann auf der sprachlichen Ebene hochinteressant und auch komisch sein. Die Jury sieht im analytisch klugen Ansatz sowie in der Ausarbeitung der geplanten Recherche vielversprechendes Material für eine starke Figurenzeichnung und dramatische Umsetzung als Plädoyer für real gelebte Gleichberechtigung. Sie empfiehlt daher das Stipendium in Höhe von 8.000 Euro.
Martin Kindervater: In der Sache Manga Bell
Mit „In der Sache Manga Bell“ widmet sich Martin Kindervater der fast vergessenen Lebensgeschichte von Rudolf Manga Bell, einem Duala-Chieftain und Aktivisten, der im kolonialen „Deutsch-Kamerun“ gegen die Rechtsverletzungen des Deutschen Kaiserreichs kämpfte und 1914 hingerichtet wurde. Das Projekt setzt sich das Ziel, die kolonialen Verflechtungen zwischen Deutschland und Kamerun insbesondere mit einem Fokus auf Süddeutschland künstlerisch und historisch zu beleuchten. Es bezieht Reichstagsdebatten, Presseberichte, persönliche Dokumente und Stimmen von Nachfahren ein und verknüpft diese mit aktuellen Diskursen wie der Restitutionsdebatte um das Objekt „Tangué“. Die Jury würdigt die historische Recherche und den Ansatz, Kolonialgeschichte nicht als fernes Kapitel, sondern als lokal wirksame, konfliktreiche Gegenwart zu verhandeln. Der szenisch-dokumentarische Zugang verspricht eine differenzierte künstlerische Aufarbeitung, die über reine Geschichtsdarstellung hinausgeht. Besonders relevant erscheint der Fokus auf bisher kaum beleuchtete süddeutsche Verbindungen zur Kolonialgeschichte und die Einbindung von Stimmen der Nachfahren, die dem Projekt eine besondere Authentizität und Dringlichkeit verleihen. Das Konzept überzeugt durch eine klare Fragestellung, gesellschaftliche Relevanz und das Potenzial, ein breiteres Bewusstsein für koloniale Kontinuitäten zu schaffen. Daher empfiehlt die Jury die Förderung des Projektes in Höhe von 8.000 Euro.
Verena Stefanie Konietschke: ZWISCHEN GLAMOUR UND GROLL / Drag-Kings und die gesellschaftliche Herausforderung durch den Hass
Verena Stefanie Konietschke setzt sich mit Hasskriminalität und Theorien zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit auseinander. Besonderes Augenmerk liegt auf den Erfahrungen von Drag Kings in der Konfrontation mit Hass und Ablehnung. Die zentral formulierte Fragestellung, wie sich Formen von Hass gegenüber Drag Kings und deren Performances manifestieren und welche Rolle dabei deren Bühnen-(Un-)Sichtbarkeit spielt, ist hochrelevant und eröffnet neue Perspektiven auf gesellschaftliche Dynamiken von Normen, Sichtbarkeit und Ausgrenzung. Für „Zwischen Glamour und Groll“ plant Verena Stefanie Konietschke intensive Recherchen, teilnehmende Beobachtung, Interviews, Medienanalysen und die Dokumentation des Materials. Um diesem bislang wenig erforschten Feld Aufmerksamkeit zu widmen, spricht sich die Jury für die Förderung im Rahmen eines Arbeits- und Fortbildungsstipendiums in Höhe von 8.000 Euro aus.
Bülent Kullukcu: Autoput
Bülent Kullukcu begibt sich auf eine performativ-dokumentarische Recherche über den „Autoput“ im ehemaligen Jugoslawien – eine Straße, die über Jahrzehnte hinweg für Millionen von „Gastarbeiterfamilien“ die zentrale Ader der Rückkehr war: von Deutschland, Österreich oder der Schweiz ausgehend über Slowenien, Kroatien, Serbien bis nach Nordmazedonien, in die Türkei oder nach Griechenland. Die Sommerfahrten auf dem Autoput betrachtet Kullukcu als kollektiven Erinnerungsspeicher, der bis heute in migrantischen Familien präsent ist, jedoch kaum eine Stimme im kulturellen Gedächtnis hat. Mit einer Archivarbeit, in deren Zentrum eine Reise auf der Route von München in die Türkei stehen soll, will er diese bergen, Erinnerungen, Erzählungen, Geräusche, Bewegungen, Objekte und Sprache ins Bewusstsein holen und in Beziehung setzen. So soll ein Fundus als Basis für eine installative Performance entstehen. Die Jury empfiehlt, dieses Vorhaben mit einem Stipendium von 8.000 Euro zu unterstützen.
Cornelia Maschner: Der Bastard – eine Recherche
Das Vorhaben „Der Bastard – eine Recherche“ von Cornelia Maschner besticht durch die Einbindung des intergenerationalen Schweigens als zentrales Leitmotiv und einen starken autobiografischen Ansatz. Das Schweigen deutscher Familien über die Zeit des Nationalsozialismus und die Nachkriegszeit hat die kollektive Erinnerung in Deutschland tiefgreifend geprägt und bildet den wichtigen historischen sowie gesellschaftlichen Rahmen dieser künstlerischen Auseinandersetzung. Die geplante Recherche umfasst Archivbesuche – unter anderem in der KZ-Gedenkstätte Dachau – sowie Gespräche mit Zeitzeug*innen und eine Reise nach Timișoara, um dort lebende Angehörige zu finden und zu interviewen. Mit dem persönlichen und zugleich gesellschaftlich relevanten Zugang leistet Cornelia Maschner nicht nur einen Beitrag zur Aufarbeitung deutscher Geschichte, sondern auch zur Reflexion kollektiver Erinnerung. Die Jury empfiehlt für dieses künstlerisch-dokumentarische Projekt ein Arbeits- und Fortbildungsstipendium in Höhe von 8.000 Euro.
Pandora Pop GbR: Khí – THE HOMECOMING
Mit „Khí – THE HOMECOMING“ initiiert die Pandora Pop GbR ein künstlerisches Rechercheprojekt, das die Themen kulturelle Aneignung, Restitution und Dekolonisation in den Mittelpunkt stellt. Ausgangspunkt ist die dokumentarisch-performative Begleitung einer realen Rückführung indigener Kulturgüter aus deutschen Museen nach Nordamerika. Dabei wird mit indigenen Künstler*innen, Wissenschaftler*innen sowie Institutionen wie dem GRASSI Leipzig und dem Museum Fünf Kontinente München zusammengearbeitet. Die Jury hebt den sensiblen und kooperativen Ansatz hervor, der nicht nur bestehende koloniale Machtverhältnisse sichtbar macht, sondern aktiv nach neuen Formen der Erinnerungskultur und des künstlerischen Dialogs sucht. Die Verbindung von dokumentarischer Praxis mit performativen Methoden eröffnet eine zeitgemäße und gesellschaftlich relevante Perspektive auf aktuelle Restitutionsdebatten. Das Projekt überzeugt durch die klare künstlerische Haltung, den starken inhaltlichen Bezug zu postkolonialen Fragestellungen und das Potenzial, sowohl museale als auch theatrale Kontexte zu erweitern. Die geplante interdisziplinäre und internationale Zusammenarbeit unterstreicht die Tragweite und Innovation des Vorhabens. Daher empfiehlt die Jury die Förderung des Projektes „Khí – THE HOMECOMING“ in Höhe von 8.000 Euro.
Sahar Rahimi: Monster
Sahar Rahimi exploriert die Geschichte der von der Boulevardpresse als „Medea von Solingen“ benannten Christiane K., die 2020 fünf ihrer Kinder nacheinander in der Badewanne ertränkte und in Badetücher gewickelt in ihre Betten legte. Vor dem Hintergrund dieses ‚monströsen‘ Falls fühlt sich Rahimi in ihr eigenes Empfinden als Mutter hinein. Sie möchte in den Taburaum mütterlicher Gedanken und Gefühle vordringen, die nicht mit dem gesellschaftlichen Idealbild einer Mutter konform gehen. Mit dieser Recherche intensiviert Rahimi ihre gemeinsam mit Lucy Wilke in der Arbeit „Lulu’s Baby“ begonnene Auseinandersetzung mit dem Thema Mutterschaft. Bereits in dieser und anderen Produktionen arbeitete Rahimi mit Puppen. Die Recherche für „Monster“ möchte sie nutzen, um ihre künstlerische Sprache zu erweitern. Im Fokus steht, inwiefern auf der Bühne durch Performende unsagbare Tabus über das Medium Puppe sagbar werden. Die Jury empfiehlt, dieses Vorhaben mit einem Stipendium von 8.000 Euro zu fördern.
Marion Weber: MAINTAINING MAINTENANCE ART (AT)
Mit „MAINTAINING MAINTENANCE ART (AT)“ widmet sich Marion Weber der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Werk der US-amerikanischen Performance-Künstlerin Mierle Laderman Ukeles (*1939), die als Pionierin der „Maintenance Art“ gilt. Ukeles stellte alltägliche Pflege und Instandhaltungsarbeiten von der Müllentsorgung bis zum Windelwechseln als künstlerische Praxis ins Zentrum und machte damit unsichtbare, oft feminisierte Arbeit sichtbar. Marion Weber möchte Ukeles’ Werk historisch, theoretisch und praktisch untersuchen und zugleich die aktuelle Relevanz dieser Kunstform im Kontext zeitgenössischer Care-Diskurse reflektieren. Besonders überzeugend ist der Ansatz, feministische Theorie und performative Praxis zu verbinden. Die geplanten Reenactments einzelner Ukeles-Arbeiten eröffnen neue Perspektiven auf die Verbindung von Kunst, Alltag und gesellschaftlicher Wertschätzung von Care-Arbeit. Das Projekt zeichnet sich durch eine klare inhaltliche Haltung, ein fundiertes Recherchekonzept und das Potenzial für eine weiterführende künstlerische Entwicklung im öffentlichen Raum aus. Daher empfiehlt die Jury die Förderung des Projektes „MAINTAINING MAINTENANCE ART (AT)“ in Höhe von 8.000 Euro.
- 2025
Michael Heiduk; Keith King Mpunga; Julia Prechsl; Olivia Rosendorfer; Anastasiya Shtemenko; Jan Struckmeier; Oliver Zahn - 2024
Marie-Sophie Ernst; Daniela Gancheva; Ruth Geiersverger; Christiane Huber; Caroline Ann Kapp; Keith King Mpunga; Gladys Mwachiti; Sahar Rahimi; Christina Ruf; Edith Saldanha; Otone Sato; Oliver Zahn; - 2023
Demjan Duran; Camille Hafner; Evelyn Hriberšek; Christiane Huber; Felix Kruis; Christina M. Lagao; Alexandra Martini; Verena Regensburger; Anna Winde-Hertling - 2022
Franziska Angerer, Oliver Exner, Anna Gschnitzer, Evelyn Hriberšek, Sebastian Hirn, Anne Sophie Kapsner, Charlotte Mednansky, Bülent Kullukcu, Kim Mira Meyer, Keilit King Mpunga, Lulu Obermayer, Thalia Schoeller, Caitlin van der Maas, Oliver Zahn - 2021
avec, Dziomber & Sühnel, Silvia Bauer, Helena Eckert, BUERO GRANDEZZA E.V., Benno Heisel, Caroline Kapp, Manon Haase, Cornelia Mélian, Lulu Obermayer, Gesche Piening, Gineke Pranger, Jan Struckmeier,
Frauke Zabel - 2020
Jonny Bongers, Dominik Burki, Burchard Dabinnus, Tomma Galonska, Jan Geiger, Barbara Balsei / Astrid Behrens, Matthias Leitner, Gina Penzkofer und Demjan Duran, Oliver Zimmer - 2019
Tuncay Acar und Peter Arun Pfaff, Antonia Beermann, Klemens Hegen, Niels Klaunick, Anna McCarthy, Cornelia Melian, Christiane Mudra, Pia Richter, Otone Sato, Jan Struckmeier, Julian Warner - 2018
Sandra Chatterjee, Léonard Engel, Stephanie Felber, Ceren Oran - 2017
Emre Akal, ausbau.sechs, Raphaela, Seraphin, Theresa Bardutzky, La Shut, Katrin Petroschkat, Anta Helena Recke - 2016
Ziad Adwan, CADAM, GIESCHEand GbR, Caitlin van der Maas, Raphael Samay / Patrik Thomas - 2015
Tomma Galonska, Inga Helfrich - 2014
Emre Akal, Ana Zirner: Erarbeitung, Ines Honsel, Isabel Kott, Christiane Mudra - 2013
Emre Akal und Tunay Önder, Institut für Glücksfindung/Stefanie Fleckenstein, Christina Ruf - 2012
Judith Huber, Lorenz Seib, Leila Semaan - 2011
Dirk Engler, Ruth Geiersberger, Sebastian Linz/ausbau.sechs - 2010
Cornelie Müller, Katrin Dollinger und Kai Schmidt, Ruth Geiersberger, Gisela Müller und Walter Siegfried